Nacht
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Unterwegs mit der Nachtspitex

Die Nacht ist noch jung, Frühlingsduft hängt in der Luft. Die diplomierte Pflegefachfrau Saskia entnimmt einem Schlüsseltresor den Schlüssel, mit dem sie die Wohnung von Herrn G. öffnen kann. Mit dem Lift geht’s in den vierten Stock. Ein kurzer Blick auf ihren elektronischen Begleiter und sie weiss: Tagsüber und auch in den letzten zwei Tagen ist nichts Besonderes vorgefallen. «Hier ist die Spitex, guten Abend!», ruft Saskia in die Wohnung. Herr G. liegt bereits im Bett, ist noch wach und freut sich sichtlich über den Besuch. Während Saskia ihm die Beine eincrèmt, berichtet er munter aus seinem Leben. Wie er zusammen mit seiner Frau ein Ferienhäuschen im Tessin gebaut hatte, dafür regelmässig nachts um zwei Uhr losfuhr, um «alle Lastwagen auszutricksen». Oder wie er als Geschäftsführer die türkischen Behörden überzeugte, ein Verwaltungsgebäude nach seinen Vorstellungen zu bauen. Saskia misst die Vitalzeichen und verabschiedet sich dann. «Gute Nacht und bis morgen.»

Bedarf nach Nachtspitex-Leistungen steigt

Saskia ist eine von 20 Mitarbeitenden, die für Spitex Zürich Kundinnen und Kunden in der Nacht betreuen. Das Team Nord kümmert sich um den nördlichen Stadtteil, Team Süd ist für den südlichen Stadtteil sowie für die nächtliche Versorgung im Bezirk Horgen zuständig. Der Bedarf an nächtlicher Spitex-Betreuung steigt: Letztes Jahr leisteten beide Teams zusammen 26'731 Einsätze. Das sind fast zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Die Arbeitsnacht beginnt kurz vor 22 Uhr und dauert bis 7 Uhr. «Je nach Tour betreuen wir bis 20 Kundinnen und Kunden je Nacht. Bei Tour 1 haben wir heute Nacht acht Besuche geplant.» Tour 1 hat – bewusst – viel Zeit zwischen den Einsätzen, damit ausreichend Zeit für Notfälle bleibt.

Nacht
Die Nacht ist noch jung und die beiden Spitex Mitarbeiterinnen parat.

Inzwischen ist es kurz vor 23 Uhr. Die Strassen sind leer, Saskia kommt gut voran und sagt: «Bald sind wir bei der nächsten Kundin.» Kaum hat sie den Satz ausgesprochen, läutet ihr Telefon: Die Notrufzentrale meldet den Sturz einer älteren Frau. Sie kann nicht mehr selbst aufstehen. «Wir gehen nachschauen», antwortet Saskia ruhig. Schon hat sie telefonisch ihre Nachtspitex-Kollegin Zrinka aufgeboten und im Navigationsgerät den neuen Zielort eingegeben. «Notfälle fahren wir zu zweit an, wenn es die Kapazität erlaubt. Denn wir wissen nie, was für eine Situation wir antreffen.»

Was ist mit der Kundin, die wir eben noch besuchen wollten? «Dieser Einsatz muss und kann warten. Deshalb arbeiten wir nachts mit Zeitfenstern und nicht mit fixen Terminen.» Schon läutet ihr Telefon wieder: Ein weiterer Notfall, ein weiterer Sturz. Saskia nimmt alle Informationen entgegen. Die gestürzte Person ist Spitex-Kundin und somit ist die Krankengeschichte einsehbar. Die Spitex-Fachperson gibt telefonisch alle Informationen an ihre Teamkollegin Jennifer weiter. «Biete bitte auch gleich Dounia auf, damit ihr zu zweit seid. Ich habe gesehen, dass der Gestürzte Blutverdünner und Herzmedikamente nehmen muss.» Schon fährt Saskia weiter, zum ersten Sturz. «In vier Minuten sind wir dort.»

Nacht
Saskia gibt alle Informationen an ihre Teamkollegin weiter und Koordinert die Einsätze.

Anspruchsvoll und abwechslungsreich

Die Spitex-Mitarbeitenden, die Nachtdienst leisten, haben alle besondere Eigenschaften. Neben ihrer beruflichen Qualifikation und Erfahrung müssen sie äusserst flexibel sein und weitreichende Entscheide in wenigen Augenblicken selbstständig fällen. «Wer die Tour 1 fährt, ist für die Triage in der Nacht verantwortlich. Ich lege heute beispielsweise fest, wer zu welchem Notfall fährt. Wir von der Spitex sind die ersten Fachpersonen vor Ort. Wir entscheiden, ob wir die Person selbst versorgen können oder ob wir einen Notarzt oder die Ambulanz aufbieten müssen. Und wir haben natürlich auch unsere geplanten Kundinnen und Kunden stets im Kopf, damit diese innerhalb der vereinbarten Zeitfenster versorgt werden.» Nicht alle können mit dieser Verantwortung umgehen. Hinzu kommt, natürlich die Bereitschaft, nachts zu arbeiten. «Wir stehen selten im Stau und finden immer einen Parkplatz», streicht Saskia die Vorteile der Nachtarbeit mit einem Augenzwinkern heraus.

Frau Z. liegt in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden, ihre Hüfte schmerzt höllisch. Sie wollte ins Bett und davor noch ein paar Dinge auf die Seite räumen. Da ist es passiert: Sie blieb mit einem Fuss bei einer Teppichkante hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ihre Tochter konnte sie nicht anrufen, denn der Akku des mobilen Telefons ist leer. Zum Glück trägt sie ein Armband mit Alarmknopf. «Ihre Mutter hat wahrscheinlich den Oberschenkel gebrochen und muss ins Spital. Wir haben die Ambulanz bereits aufgeboten», informiert Saskia die Tochter der Gestürzten übers Telefon. Mit dem Gerät am Ohr läuft die Spitex-Fachfrau durch die Wohnung, in der sie zuvor noch nie war, und sucht persönliche Gegenstände und Kleider zusammen, welche die Tochter am anderen Ende der Leitung nennt. Gemeinsam legen sie fest, was Frau Z. sofort braucht und was die Tochter am nächsten Tag bringen wird. Währenddessen kniet Zrinka neben der Gestürzten, gibt ihr zu trinken und beruhigt sie. Es klingelt, das Rettungsteam der Ambulanz ist da. Präzis informiert Saskia die Rettungsärztin über das Vorgefallene, die Erstversorgung und die gepackte Tasche fürs Spital.

Ambulanz
Das Rettungsteam der Ambulanz ist da.

Unterstützung Konzertbesuch

Spitex Zürich erbringt für und in Koordination mit verschiedenen Organisationen in der Stadt Zürich die ambulante, nächtliche Erstversorgung. Verschiedene Notfallorganisationen wie der SRK-Notruf, das Ärztefon oder die SAW Securitas setzen bei pflegerischen Notfällen aufs Nachtspitex-Team. Das nächtliche Spitex-Angebot gibt es seit 15 Jahren. Die damals Verantwortlichen erkannten, dass die Nachfrage nach ambulanter Versorgung rund um die Uhr besteht. «Wir haben einige Kundinnen und Kunden, denen helfen wir morgens um halb sechs oder sechs Uhr beim Aufstehen, damit sie anschliessend zur Arbeit gehen können. Solche Dienste entfallen am Wochenende und an den Feiertagen. Umgekehrt gibt es Menschen, die nehmen am gesellschaftlichen Leben teil und gehen ins Konzert oder an andere Veranstaltungen. Sie können nicht selbst ins Bett – auch hier helfen wir», erklärt Saskia.

Es ist kurz vor Mitternacht. Bald steht Saskia im Schlafzimmer der nächsten Kundin und versorgt diese mit Medikamenten.

Pflege