Erstgespräch
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Nervenkitzel beim ersten Einsatz

In einem ruhigen Wohnquartier in der Stadt Zürich suchen wir unter den Klingelschildern den Namen von Frau G. Wir haben einen Termin für ein Erstgespräch, um den Pflegebedarf zu bestimmen. Das Spital, aus dem Frau G. kürzlich entlassen wurde, hat sich bei der Spitex bezüglich Pflegeleistungen gemeldet. Vor dem Klingeln ist Luana freudig aufgeregt: «Manchmal ist es purer Nervenkitzel, bevor ich eine neue Wohnung betrete. Ich weiss nie genau, was und wer sich hinter einer Tür befindet. Und natürlich nimmt mich wunder, wie gross der Pflegeaufwand tatsächlich ist. Denn die Einschätzung im Spital ist nicht immer deckungsgleich mit unserer.»

Erstegespräch
Luana stellt das Angebot von Spitex Zürich beim Erstgespräch vor.

Die 26-jährige Luana hat eine Ausbildung als Fachangestellte Gesundheit im Triemli-Spital absolviert und ein Studium an der Höheren Fachschule zur Diplomierten Pflegefachfrau abgeschlossen. Seit 2019 arbeitet sie in der Fallführung und als Wundspezialistin bei Spitex Zürich. Heute begleiten wir sie zum Erstgespräch bei Frau G.

«Welche Unterstützung wünschen Sie sich?»

Schnell wird klar, dass Frau G. eine aufgestellte und herzliche Seniorin ist. Sie bittet uns direkt ins Wohnzimmer und bietet uns Platz am Esstisch an. Luana ist in ihrem Element: «Möchten Sie mir erzählen, was in den letzten zwei Wochen alles passiert ist?» Später erklärt sie, dass diese Frage wichtig ist. Sie kann damit herauszufinden, wie es um die Kognition von Frau G. bestellt ist, wie ihr psychisches Befinden ist oder ob sie sich bei dieser Frage möglicherweise überfordert fühlt.

Frau G. erzählt von ihrem Spitalaufenthalt, der auf einen Sturz in den eigenen vier Wänden folgte. Luana fragt nach: «Welche und wie viel Unterstützung wünschen Sie sich von uns?» Diese Frage ist besonders wichtig, denn die Kundinnen und Kunden sollen ihre Bedürfnisse äussern. Manchmal schüchtert es sie ein, wenn man direkt von Anfang an sagt, dass er oder sie einen Einsatz pro Woche braucht. «Dann trauen sie sich nicht, ihre Unsicherheiten und Ängste zu äussern.»

Luana beginnt gleich während dem Erstgespräch mit einem Einsatz inklusive Blutdruckmessen und Duschen. Auf dem Weg ins Bad beobachtet sie die ältere Dame genau. Wie bewegt sie sich? Gibt es Stolperfallen auf dem Weg? Gibt es Hilfsmittel in der Dusche oder sollten solche bestellt und angebracht werden? Wie sind die hygienischen Verhältnisse? Diese Beobachtungen geben ihr ein fundiertes Gefühl, welche Pflege Frau G. benötigt, ob weitere Leistungen wie Hilfe im Haushalt notwendig sind und wie oft ein Einsatz notwendig ist.

Erstegespräch
Luana misst den Blutdruck von Frau G.

Nach unserem Besuch geht es ins Büro zurück. «Nun müssen wir gleich die Pflegeplanung erstellen.» Nach den nächsten zwei Wochen wird Luana erneut das Gespräch mit Frau G. suchen, um zu evaluieren, ob die Anzahl Einsätze Sinn macht oder ob es Anpassungen braucht.

Durch Zufall Leben verändert

Ein Erstgespräch ist der 26-jährigen Luana besonders in Erinnerung geblieben. Das Spital hatte eine Wundpflege bei einem jüngeren Kunden angeordnet und der Auftrag schien nicht komplex zu sein. Während des ersten Einsatzes bemerkte sie einen langen Sauerstoffschlauch und danach auch die Frau, die diesen benötigt. Die Freundin des Kunden war bettlägerig und auf Sauerstoff angewiesen. Sie war offensichtlich mangelernährt und in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. Auf Nachfragen hin erfuhr Luana, dass die Freundin an einer schweren Lungenerkrankung leidet und keine Hilfe erhält. «Danach habe ich mit ihrem Hausarzt geschaut, dass sie eine Spitexverordnung erhält und wir sie unterstützen können.» Bei einem weiteren Einsatz entdeckte Luana zusätzlich, dass die Mutter, bei der alle wohnten, hochgradig dement und ebenfalls ohne Spitex-Unterstützung war.

«Wir haben als Spitex-Mitarbeitende eine grosse Verantwortung, vor allem auch während einer Bedarfsabklärung. Und es ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl zu wissen, dass du das Leben von Menschen tatsächlich zum Positiven veränderst.»

Beeindruckt vom Mut für den täglichen Schritt ins Ungewisse, vom grossen Einfühlungsvermögen für die Kundinnen und Kunden sowie von der Geduld, die bei jedem einzelnen Erstgespräch benötigt wird, geht unser spannender Einsatz zu Ende.