Seit dem 1. September 2024 setzen sechs mobile Palliative Care Dienste, darunter die spezialisierte Palliative Care von Spitex Zürich, systematisch den EPS-Test ein. EPS steht für «Erfassen palliativer Situationen». Mittels diesem Indikationsinstrument sollen 500 bis 1000 Fälle online gesammelt und ausgewertet werden. Ziel ist es, mit diesem einheitlichen Test festzustellen, wann eine Kundin oder ein Kunde spezialisierte Palliative Care benötigt. Michael Bruhin, Experte für Palliative Care bei Spitex Zürich, ist Co-Projektleiter und gibt im Interview Einblick in den EPS-Test.
Was verbessert die standardisierte Erfassung und Auswertung der Daten durch den EPS-Test?
Unser langfristiges und zentrales Anliegen ist es, mittels flächendeckender Einführung des EPS-Tests für einheitliche Messkriterien zu sorgen. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Kundin oder ein Kunde spezialisierte Palliative Care benötigt, können wir so fundierter beurteilen. So findet eine transparente Abgrenzung gegenüber der allgemeinen Palliative Care statt und die spezialisierte Expertise wird dort eingesetzt, wo sie benötigt wird. In diesem Prozess findet eine erneute Sensibilisierung für eine frühzeitige Erkennung des Bedarfs an Palliative Care statt.
Weiter ist ein spezialisierter Palliative Care-Dienst auf zusätzliche Finanzierung angewiesen. Dessen Notwendigkeit kann mittels der gesammelten Daten begründet werden. Auf politischer Ebene können die EPS-Daten für eine gewichtige Argumentation für eine Finanzierung der Palliative Care-Dienste genutzt werden. Oder als Beleg, dass die erbrachten Leistungen von Seiten Leistungsauftraggeber (Gemeinde/Kanton) finanziert werden. Somit können die Daten zur Versorgungssteuerung und deren Finanzierung genutzt werden.
Was beinhaltet der EPS-Test?
Der EPS-Test ist in zwei Kategorien eingeteilt. Darin enthalten sind zehn allgemeine und sieben spezifische Indikatoren. Die allgemeinen Indikatoren beinhalten vier Fragen zur Allgemeinsituation der Kundin oder des Kunden. In welchem Zustand befindet er/sie sich? Ist der Allgemeinzustand reduziert? Wurde in den letzten drei Monaten mehr als 10 Prozent Körpergewicht verloren? Besteht mindestens ein unkontrollierbares Symptom?
Palliative Care zeichnet sich durch interprofessionelle Zusammenarbeit aus. Dem wird mit einer Frage Rechnung getragen, ob es mehr als eine Profession für die Begleitung der Situation benötigt. Die ethische/spirituelle Ebene wird ebenfalls berücksichtigt. So wird nach schwierigen Entscheidungsfindungen gefragt. Welche lebenserhaltenden Massnahmen in einer Krisensituation sollen noch getroffen werden? Oder in Bezug auf die Grunderkrankung, zum Beispiel bei einer schweren Nierenerkrankung, ob eine Dialyse weitergeführt werden oder eine onkologische Therapie durchgeführt, abgelehnt, weitergeführt oder beendet werden soll. Zudem ist auch eine Frage, ob von Seiten Kundin oder Kunde der Wunsch nach Palliative Care-Dienstleistungen besteht. Und zuletzt die Überraschungsfrage. Die Fachperson muss ihre fachliche und intuitive Einschätzung abgeben. Diese lautet: Wäre die Fachperson überrascht, wenn die Kundin oder der Kunde innerhalb von einem Jahr versterben würde?
Die sieben spezifischen Indikatoren fragen nach Erkrankungen in fortgeschrittenen Stadien, welche sich aus den medizinisch diagnostischen Fakten lesen lassen.
Wie wird die Zusammenarbeit zwischen den mobilen Palliative Care-Diensten, Hausärzten und Pflegefachpersonen im Rahmen dieses Projekts gefördert und koordiniert?
In unserer täglichen Arbeit unterstützen wir bereits Hausärztinnen und Hausärzte, Pflegefachpersonen von Spitexorganisationen und/oder Pflegeheimen bei komplexen oder vorübergehend instabilen Patientensituationen. Aus meiner Erfahrung ist die Sensibilisierung für Palliative Care in der konkreten Situation weiterhin nötig. Wir erleben immer wieder verschiedene Hindernisse, weshalb spezialisierte Palliative Care-Dienstleistungen nicht oder zu spät hinzugezogen werden. Da wird der EPS-Test den Pflegefachpersonen im Gespräch mit den zuständigen Hausärztinnen und Hausärzten oder ihren Vorgesetzten für einen Beizug der spezialisierten Palliative Care-Dienstleistungen durchaus Argumente liefern. Durch das Projekt wird die Zusammenarbeit aufgrund der geführten Gespräche zwischen den beteiligten Diensten/Professionen gefördert. Im gesamten Netzwerk sind wir uns einig: Wir möchten die bestmögliche palliative Pflege bieten und dies funktioniert, wenn alle Professionen und Institutionen zusammen für dasselbe Ziel arbeiten.
Gibt es bereits erste Erwartungen, wie sich die Einführung des EPS-Tests auf die frühzeitige Erkennung des Bedarfs an spezialisierter Palliative Care auswirken wird?
Das Projekt «Nationale Indikationskriterien für MPD» ist ein aus dem von palliative.ch initiierten Netzwerk MPD lanciertes Projekt. Dieses Projekt wiederum wurde von dessen Teilnehmern aufgrund des hohen Bedarfs in der Versorgungslandschaft initiiert. Wir erwarten eine breitflächige Sensibilisierung für Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen und den Fachbereich Palliative Care. Damit mehr Menschen mit ihrer gesundheitlich fortgeschrittenen Situation erkannt werden, um ihnen die bestmögliche Betreuung und Pflege sowie den Zugang zur Expertise der spezialisierten Palliative Care Dienstleistungen zu ermöglichen.
Die zuständigen Fachpersonen erhalten mit dem Ergebnis fachliche Begründung für den Beizug einer Palliative Care-Dienstleistung. Unser Anliegen ist es, den Fachpersonen des Gesundheitswesens und der allgemeinen Palliative Care eine Unterstützung zu bieten. Die richtige Expertise beim richtigen Kunden und zur richtigen Zeit. Eine zu erwartende Auswirkung wird sein, dass immer mehr Fachpersonen auf Grundlage des EPS-Tests in Diskussion gehen und somit mehr Menschen den Zugang zur spezialisierter Palliative Care erhalten und die Teams der Grundversorgung entlastet und unterstützt werden. Sei es in den Teams, mit den Hausärztinnen und Hausärzten, mit der Seelsorgenden oder mit den politischen Verantwortlichen.
Im Projekt engagieren sich von Spitex Zürich zudem Verena Gantenbein und Leandra Senn. Lanciert wurde es durch palliative.ch.