Abhängigkeitserkrankung

Abhängigkeitserkrankung

In diesem Ratgeber zum Thema Abhängigkeitserkrankung erfahren Sie, wann von einer Abhängigkeitserkrankung gesprochen wird, was dazu führt und was Betroffene und deren Angehörige unternehmen können. Auch die Frage, ob es einen gesundheitlich unbedenklichen Konsum von Alkohol gibt, wird beantwortet.

Übersicht Fragen

Wann wird von einer Abhängigkeitserkrankung gesprochen?

Medizinisch gesehen ist eine Abhängigkeit eine Krankheit, für die es typische Symptome gibt. Sie wird in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation WHO als «psychische und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen» beschrieben (F10.2-19.2 Diagnosen). Die Hauptmerkmale sind vielfältig. Sind mindestens drei der folgenden Kriterien im letzten Jahr erfüllt, spricht man von einer Abhängigkeitserkrankung. Diese Anzeichen sollten frühzeitig erkannt werden, um rechtzeitig Hilfe und Unterstützung zu erhalten.

  • Ein starkes Verlangen, die Substanz zu konsumieren, das sogenannte «Craving». 
  • Eine verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich der Menge, des Beginns oder der Beendigung des Konsums. 
  • Körperliche Entzugserscheinungen, die auftreten, sobald der Konsum reduziert oder eingestellt wird. 
  • Eine Toleranzentwicklung, bei der eine immer höhere Dosis benötigt wird, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. 
  • Die Vernachlässigung der Arbeit, der Familie, anderer Interessen und Aktivitäten zugunsten des Substanzkonsums. 
  • Die Substanz wird trotz bereits vorhandenen gesundheitlichen oder sozialen Folgeschäden weiter konsumiert. 

Was führt zu einer Abhängigkeitserkrankung?

Eine Abhängigkeitserkrankung entsteht schleichend. Beim Konsum von abhängig machenden Substanzen wie Zigaretten, Drogen und vor allem auch Alkohol werden verschiedene Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet. Dazu gehört auch das Glückshormon Dopamin. Das Glückshormon führt zu positiven Erlebnissen wie Entspannung, mehr Selbstvertrauen oder es vermindert Stress und überdeckt negative Emotionen. Diese positiven Gefühle verstärken wiederum das Suchtverhalten. Betroffene wollen diesen Zustand immer häufiger erleben und wünschen sich, dass er dauerhaft anhält. Dies führt mit der Zeit dazu, dass zuvor willentlich gesteuerte Verhaltensweisen durch automatisierte und schliesslich zwanghafte Verhaltensschemata ersetzt werden. 

Das Suchtgedächtnis speichert die Emotionen, die mit dem Konsum verbunden sind. Bestimmte Emotionen oder Situationen können dann später ein starkes Verlangen auslösen zu konsumieren. Bei sehr hohen Konsummengen braucht eine betroffene Person bereits am Morgen einen Drink, um Entzugssymptome zu lindern und den Rest des Tages zu überstehen. 

Das Modell der Sucht-Trias spielt bei der Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung eine entscheidende Rolle. Es betrachtet die Abhängigkeit ganzheitlich und erklärt das Zusammenspiel verschiedener Faktoren im Dreieck von Umwelt, Individuum und Substanz. Personenbezogene Eigenschaften wie der Umgang mit Stress oder ein schwaches Selbstwertgefühl können die Entwicklung einer Abhängigkeit begünstigen. Auch das familiäre und soziale Umfeld sowie die Verfügbarkeit und das Suchtpotenzial der Substanz sind wesentliche Faktoren.

Sucht Trias

Gibt es einen gesundheitlich unbedenklichen Konsum von Alkohol?

Die S3-Leitlinie «alkoholbezogene Störungen» aus dem Jahr 2021 stützt sich bei der Angabe von Grenzwerten für risikoarmen Alkoholkonsum auf die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO. Frauen wird empfohlen, maximal ein Standardgetränk pro Tag zu konsumieren, während bei Männern bis zu zwei Standardgetränke pro Tag als risikoarm angesehen werden. Dazu sollten mindestens zwei abstinente Tage pro Woche eingelegt werden. 

Aktuelle Erkenntnisse (Rumpf et al., 2024) widersprechen jedoch den Empfehlungen für risikoarme Trinkmengen. In früheren Studien wurde dem Alkohol sogar eine gesundheitsförderliche Wirkung nachgesagt. Auch dies wurde widerlegt, weil die Resultate auf methodischen Mängeln basierten. Im Gegenteil: Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Entwicklung von Folgeerkrankungen sowie dem vorzeitigen Versterben. Deshalb empfehlen Fachleute, den Alkoholkonsum zu reduzieren und bestenfalls ganz darauf zu verzichten.

Standardgetränke

Was macht Spitex Zürich?

  • Rund 50 Mitarbeitende im Bereich Mental Care gewährleisten die psychosoziale Pflege und Betreuung bei Spitex Zürich. Eine Pflegeexpertin APN hat sich auf Abhängigkeitserkrankungen spezialisiert. 
  • Der Ansatz bei Spitex Zürich ist die zieloffene Arbeit. Zusammen arbeiten wir an einer Veränderung und auf ein Ziel hin, dass die Betroffenen setzen. Dabei kommen strukturierte Leitfäden und Gesprächsführungstechniken zum Einsatz. Häufig ist eine ausgeprägte Ambivalenz die Ursache für die fehlende Grundeinsicht in ein problematisches Konsumverhalten. Auch daran arbeiten wir, um die Motivation zu fördern. 
  • Wir unterstützen in verschiedenen Lebensbereichen wie bei der Arbeit, beim Wohnen, bei der Freizeitgestaltung, bei der sozialen Integration und bei gesundheitlichen Aspekten. 
  • Wir können auf grosses Fachwissen und ein breitgefächertes Netzwerk zurückgreifen und unterstützen Angehörige und Betroffene dabei, ein tragendes Umfeld aufzubauen.

Was können Betroffene tun?

  • Abhängigkeit ist immer von Ambivalenz geprägt. Die einstmals positiven Aspekte des Konsums stehen den überhandnehmenden negativen Folgen gegenüber. Viele Betroffene wünschen sich ein Leben ohne oder mit weniger Alkohol, finden aber keinen Ausweg aus dem Suchtkreislauf. Sich ein Problem einzugestehen, erfordert Mut und Stärke. Es ist der erste Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. 
  • Es kann helfen, die Vor- und Nachteile schriftlich abzuwägen. Was spricht für eine Verhaltensänderung und was dagegen? Was spricht dafür das Verhalten nicht zu ändern, was spricht dagegen. Dadurch können die Motivation und der Mut zu einer Veränderung gestärkt werden. 
  • Ambulante Fachstellen unterstützen Betroffene bei der Zielerreichung. Das Ziel muss nicht immer die Abstinenz sein, welche für einige Betroffene nicht vorstellbar ist. Es gibt Angebote, die dabei unterstützen, den selbstkontrollierten Konsum zu erlernen. Die Suchtfachstelle Zürich bietet Gruppenangebote für Betroffene zu selbstkontrolliertem Konsum an. Bei Spitex Zürich wird das Angebot durch die Pflegeexpertin umgesetzt. Manchmal kann dies ein Zwischenschritt auf dem Weg in die Abstinenz sein. 
  • Bei jahrelangem hohem Alkoholkonsum ist es nicht ratsam, ohne ärztliche Unterstützung von heute auf morgen aufzuhören. Mögliche gesundheitliche Risiken, die mit einem Entzug einhergehen können, sollten fachärztlich begleitet und gegebenenfalls medikamentös behandelt werden. Nicht immer ist dazu zwingend ein stationärer Aufenthalt nötig. Eine erfolgreiche Behandlung ist je nach Konsumverhalten und individuellen Gegebenheiten auch ambulant möglich.

Was können Angehörige tun?

Angehörige dürfen sich der eigenen Betroffenheit bewusst werden 

  • Wenn alle Versuche, das Trinkverhalten der abhängigen Person zu verändern, ins Leere führen, können Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Ohnmacht entstehen. 
  • Diese emotionale Belastung kann wiederum zu Schlafstörungen führen. Wegen Scham- und Schuldgefühlen ziehen sich Angehörige aus dem sozialen Umfeld zurück und fühlen sich mit den Sorgen allein gelassen. 
  • Angehörige übernehmen Verantwortung für die abhängige Person und entschuldigen ihr Verhalten nach aussen: «Er hat gerade viele Sorgen» oder «Freunde verleiten sie zum Trinken». Dadurch wird das System aufrechterhalten. 

Angehörige können Grenzen setzen 

  • Es braucht die Bereitschaft des Betroffenen, etwas verändern zu wollen. Es nützt nichts, das Trinkverhalten zu kontrollieren. 
  • Man kann nicht anstelle der betroffenen Person das Konsumverhalten verändern. 
  • Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse (wieder) wahrzunehmen: Sich mit Freunden treffen, etwas unternehmen, Stabilität finden. Angehörige dürfen die eigenen Gefühle äussern. 
  • Wut und Schuldzuweisungen sind verständlich, aber wenig hilfreich. Sie führen zu Gegendruck und Streit. 
  • Sprechen Sie von sich selbst: «Ich mache mir Sorgen» ist hilfreicher als «du solltest damit aufhören». «Ich fühle mich überfordert» ist besser als «du machst alles falsch». Ich-Botschaften geben dem Betroffenen die Möglichkeit, sein Verhalten zu reflektieren, und es kann ein Dialog entstehen. 

Angehörige dürfen Verantwortung abgeben 

  • Die Verantwortung für mögliche Folgen des Trinkverhaltens sollte bewusst an die betroffene Person zurückgegeben werden. 
  • Betroffene müssen die Konsequenzen ihres Verhaltens realisieren und selbst die Verantwortung dafür übernehmen. Erst dann kann ein Schritt in Richtung Veränderung gemacht werden. Angehörige dürfen sich Unterstützung holen. 
  • Angehörige sind nicht schuld an der Abhängigkeitserkrankung. 
  • Es ist wichtig, einen Weg aus der Isolation und weg vom Leidensdruck zu finden. 
  • Darüber zu reden, ist der erste Schritt – sei dies mit einer Vertrauensperson, einer Ärztin oder einem Arzt. Es gibt Anlaufstellen für Angehörige, die professionelle Unterstützung anbieten.